I No. 2

 

2004-2005

edition of 7

c-print including 52 scanned polaroid photos

56 x 167 cm

Bild No. 1 ist verschwommen

Du bittest mich ein Foto zu machen.

Es sind die Jahre, als man noch nicht mit dem Handy fotografiert.
Auf dem Weg von Peking nach Kaifang habe ich dich immer mit einer Digitalkamera gesehen. Jetzt vor diesem Haus, in dem du ein paar Jahre deiner Kindheit und Jugend verbracht hast, soll ein Foto mit einer Sofortbildkamera gemacht werden. Das Haus darf aber nicht aufs Bild. Das langweilige Gebüsch schon, dabei könnte es überall wachsen, sogar in Deutschland. Warum stellst du dich ausgerechtnet dorthin, wo doch das Haus im Hintergrund viel interessanter wäre? Ich spreche kein Chinesisch. Soll ich jetzt mein Wörterbuch herausholen und nach Wörtern blättern? Die Antwort würdest du als kleine Zeichnungen in deinen Block kritzeln, aber ich habe keine Geduld für ein Bättern im Wörterbuch und das Warten auf eine Zeichnung. Ich packe dich an den Schultern und schiebe dich vor das Backsteingebäude.

 

Das Licht blendet.

Drinnen im Haus war es dunkel und es hatte nach feuchten Mauern gerochen. Du hast dich lange mit den Leuten im Büro unterhalten. Das Büro ist einmal dein Zimmer gewesen, ein Zimmer, das du mit deinem Zwillingsbruder geteilt hast. Oder hatte die ganze Familie darin gewohnt? Heute ist es jedenfalls ein Universitätsbüro. Dem Ausländer, also mir, habt ihr den bequemsten Sessel angeboten und ich habe euch beim Reden zugesehen. Waren es Männer oder Frauen, mit denen du gesprochen hast? Wie sah der Raum aus? Es wäre viel Zeit gewesen sich alles einzuprägen, trotzdem erinnere ich mich an nichts. Kann es sein, dass ich die Leute und das Büro gar nicht gesehen habe, weil ich die ganze Zeit nur dich angesehen habe?

 

Du findest ich stehe zu nah

 

Ich soll weiter weggehen, die Kamera nicht so flach halten. Wir wechseln die Positionen, jetzt stehe ich vor den Sträuchern und du schaust durch das Objektiv. Dann soll ich zurückkommen, mich genau dahin stellen, wo du stehst, die Kamera genau so halten, wie du sie hälst. Du bist aber nicht ich und ich bin nicht du. Ich bin größer als du und ich will nicht auf dich herabfotografieren. Ich sage auf Englisch, wenn ich jetzt knipse, wird alles falsch sein auf diesem Foto. Du kannst meine Worte nicht verstehen, weißt aber, was ich meine und bleibst dabei, das Foto muss genau so gemacht werden, wie du es willst. Mit Blitzlicht. Dabei stehen wir draußen, kein sonniger Tag, aber es gibt ausreichend Licht.

 

Na gut, es ist ja dein Foto.

Ich habe so viel in meinem Leben vergessen. An die Minuten, in denen wir auf das Polaroid starren, deine Umrisse erst milchig grau sind und dann langsam immer mehr Farbe bekommen, erinnere ich mich ganz genau. Die Psychologie sagt, Erlebnisse, die mit großen Emotionen verbunden sind, bleiben im Gedächtnis. Streit ist ein emotionales Erlebnis. Das Erbegnis: ein unscharfes Foto von jemandem, der nach vorn schaut, geblendet von einer künstlichen Lichtquelle, die die Augen des Fotogarfierten unsichtbar macht und den Blick auf den Fotografen verstellt.

 

Wir brauchen eine Pause

 

Du holst den Block aus deinem Rucksack, schaust auf dein Handy, malst eine Uhr mit zwei Zeigern und zeigst auf das Gebüsch vor dem ich dich fotografiert habe.
Aha, wir treffen uns in zwei Stunden wieder. Nicht vor deinem ehemaligen Zuhause, sondern vor dem langweiligen Grünzeug.

 

 Meng Huang looks at the question of time in a completely different way in his 2004 Polaroid series.

  It documents more than just his politically and personally motivated journey between Henan and Beijing. At the same time, he explores the issue of what is left of an original after time has passed.

  At the very start, a self-portrait taken in Henan, where he spent his childhood. For other photos portraying the course of his journey, he followed his feelings and selected places along the way, very different sites, towns, motives, and scenes. To these he added each Polaroid photo he had taken before. We see, for example, people he met: the Yong Tai Temple in Deng Feng; a girl wearing an opera costume; but also books on the revolution; then a work Ai Weiwei was working on at the time he visited him in Beijing.

  All in all, signs marking a journey to his roots, which fade more and more as time goes by. The photos not only capture the motifs that jumped out at him while he was on his search for lost time—they also contain a changed Polaroid photo.

 It contains everything photographed before, but the more often he repeated the process of adding a Polaroid to a new picture, the smaller the things in the older picture became. The self-portrait from the beginning is still there at the end, somewhere, but because it has become smaller and smaller, it has also become increasingly difficult to recognize. In the end only a touch of a trace is left of the original.

  For Meng Huang this personal experience is an analogy that he uses to formulate somethingthat is simultaneously specific and general, because the question that ultimately preoccupies him has to do with what happens to the source or the origin over time. The gradual disappearance of the self-portrait can also allude to the original idea of Marxism, because at the outside, only a vague trace of it is left, too.

Text by Heinz Norbert Jocks  |  Translated from German: Allison Plath Moseley